4 Tote in der Leichenhalle
Ich glaube, ich habe das nie vergessen und es ist heute, fast 40 Jahre später, immer noch präsent in meinem Kopf. Lange vergessen und dennoch in einer Therapiestunde wieder ans Licht gekommen.
Aber von Anfang an. Es war ein Landjugendabend, ein Kinoabend in einer Kneipe in Langenbrügge, ich meine es war der Film Convoy.
Der Film war lange beendet, die Besucher, Mitglieder der Landjugendgruppe dessen Vorsitzender ich war, waren lange schon auf dem Weg nach Hause.
Wir saßen noch ein wenig zusammen, tranken noch ein Bier auf den Erfolg des Abends.
Die Tür ging auf und es stand die Polizei im Raum. Sie forderten mich auf mitzukommen. Ich fühle mich wie verhaftet, so eindringlich die Aufforderung. Draussen erzählten die Polizisten den Grund. Ich sollte mitkommen und 3 Leichen identifizieren.
Auf der Strasse von Langenbrügge in Richtung Bodenteich hat es einen Unfall gegeben. Wir fuhren zur Aussegnungshalle beim Friedhof Bodenteich und gingen hinein. Eiseskalt fuhr es mir durch alle Glieder, ich konnte kaum mehr atmen, so fürchterlich und grausam der Anblick der 3 Leichen. Ich konnte keinen Schritt mehr gehen, dennoch musste ich die Leichen anschauen. Es waren Freunde, es waren Mitglieder meiner Landjugendgruppe. Ich kannte alle, dennoch fehlte sogar noch jemand. Die dann benachrichtigte erste Mutter einer der Jugendlichen brachte Gewissheit. Der Freund eines der Mädchen fehlte, mit Feuerwehr und Polizei wurde an der Unfallstelle gesucht. Er wurde gefunden, lebend und verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Ich selbst war gerade 19 oder 20 Jahre alt, zu jung um das ertragen zu können. Es gab keine Betreung, niemanden, ich wurde einfach allein gelassen und konnte lange nachts nicht schlafen. Meine Eltern nur, stell dich nicht so an, es ist passiert und der Alltag geht weiter.
Der Schuldige war schnell gefunden. Ein sehr guter Freund von mir. Ich war erschlagen, mit dieser Situation konnte ich nicht zurecht kommen. Alles sprach gegen meinen Freund, alle wandten sich ab, ich auch. Ich konnte ihm nicht glauben, er beteuerter immer das ihn keine Schuld treffe, kurz vorher wurde er noch von einem weissen Golf überholt. Niemand glaubte ihm.
Auch der Richter nicht. Mein Freund wurde verurteilt, er musste für einige Jahre ins Gefängnis.
Für mich war das alles etwas mit dem ich nicht klar gekommen bin, ich konnte es nicht verarbeiten, ich konnte es nur verdrängen, tief vergraben. Erst über 30 Jahre später kam alles wieder ans Licht und ich konnte endlich alles für mich auf arbeiten.
Mein Freund wurde entlassen, er hatte keine Freunde mehr, niemanden. Wenige Monate später nahm er sich das Leben und bekam keinen Platz auf dem Friedhof. Selbstmörder haben dort keinen Platz, so war das eben.
Bei uns gibt es den Elbe-Seiten-Kanal. Alle paar Jahre schippert ein Schiff durch diesen Kanal und scannt den Kanal nach Schrott und allem was Schiffen gefährlich werden könnte. Diese Dinge werden dann geborgen und verschrottet.
Monate nach dem Freitod meines Freundes scannte dieses Schiff wieder den Kanal. Diesmal wurd im Hafen von Bodenteich ein Golf geborgen. Ein weisser Golf noch mit Nummernschildern und noch recht neues Modell.
Dieser Golf wurde von der Polizei untersucht. Es konnten Spuren eines Unfalls gefunden werden. Es waren Spuren von dem Unfall in der Nacht auf der Straße von Langenbrügge nach Bodenteich. Es war der weisse Golf von dem mein Freund immer behauptete das er von eben diesem Golf noch kurz vorher überholt wurde.
Mein Freund war tatsächlich unschuldig an dem Unfall. Der Unfallfahrer wurde schnell ermittelt. Welche Strafe ihn erwartete weiß ich nicht, ich habe es damals dann nicht weiter verfolgt.
Ich konnte mich von meinem Freund nicht verabschieden, mich nicht entschuldigen dafür das auch ich ihn für den Schuldigen hielt und ihm nicht glauben konnte.
Heute ist die Erinnerung in mir immer noch da, der Abend des Unfalls immer noch präsent als wäre es Gestern gewesen, nach über 40 Jahren.
Ich bin glücklich diese Zeilen schreiben zu können und auch so wieder einen kleinen Teil meines Lebens neu ordnen kann.